Berliner Luft 

Langer Abend. Umgeben von Menschenmassen. Ich kann den Fernsehturm sehen. Wir haben uns nicht verlaufen, schon gar nicht verfahren. Wir sind richtig. Sind wir? Zu viel U-Bahn und Straßenbahnpläne. Wir fragen die Jungs. Ja, wir sind richtig. Die Menschenmassen haben uns hierher getrieben, gedrängt. Ich hasse Menschenmassen. Er auch. In der S-Bahn, viele Stationen fahren. Meine Augen wissen nicht wohin sie wandern sollen. Ein Mann steigt ein. Weißblondes, langes Haar, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz. Er hat strahlend blaue Augen, trägt eine grüne Army Jacke und sieht aus wie einer von The New Kids. Enge Jeans, ein Lächeln. Hosen die in die halbhohen Lederstiefel gestopft wurden. Alter Parka. Mein Liebster will auch einen Parka. Ich rätsle woher kommt. Schweden vielleicht? Norwegen? Er sieht aus wie ein Meerschweinchen. Seine Augen sind süß. Seine Augenbrauen sind strahlend blond. Unter dem Parka trägt er ein T-Shirt. V-Schnitt. Dunkelgrau, verwaschen. Ein Arm hängt in der Schlaufe. Seine Freunde tragen normale Klamotten. Unspektakulär. Ich löse mich kurz vom Meerschweinchen. Ich muss die S-Bahn Karte studieren. Sieht wieder anders aus als die U-Bahn Karte. Mühsam. Noch mehr junge Menschen steigen ein. Mit Bier in der Hand. Bier-Berlin. Alles selbstverständlich hier. Wir haben kein Bier in der Hand. Wir sind verloren. Glauben wir zumindest. Die Zarin steigt ein. Auf ihrem Kopf ist eine Pelzmütze, rund. Die hat sie bestimmt von der Oma. Ihre Nase hat einen kleinen Höcker. Woher sie kommt? Ist der Pelz echt? Er sieht echt aus. Dazu trägt sie einen dunkelgrauen Mantel. Ihre Freundin setzt sich mit ihr auf einen freien Sitzplatz. Uschaka Mützen Kapitänin mit ihrer Freundin der Strumpfhosenträgerin. Alle haben Bier. Wir kommen an. Rausgedrängt werden wir. Auf die andere Straßenseite. Mit der Menge treibt es uns nach vorne, zur nächsten Station. Zwei Männer starren uns an. "Bist du noch Jungfrau?", schreit einer der zwei in die Menge. Er klopft sich mit den Fäusten auf die Brust. "Ich bin der Entjungferer. Ich mach das gerne, gratis." Orang Utan Live Show. Wir werden weiter gerissen. Vor uns dreht jemand um. Wir sind gefangen im Strom. Strom-Stau. Treppen runter. Wieder überall nur Bier. Eine Station, endlich. Sein Freund wartet auf uns. Schildkappe und Bier in der Hand. Der Schildkappenmann ist betrunken. "Klar bin ich betrunken. Seid ihr zu doof um Stadtkarten zu lesen? Ihr habt ewig gebraucht, blieb mir nichts anderes übrig als ein paar Bierchen zu trinken. Ihr müsst jetzt aufholen." Bierladen-Stopp. Bier öffnen, gehen, trinken, Bierdose wegwerfen, eintreten. Durch den schwarzen Vorhang hindurch in die blaue Dunstwolke. Tief einatmen. Nikotin in der Luft. Am DJ Pult steht der Hosenträgermann. Schwarzes Retrohemd. Er legt eine neue Platte auf. Blickt dabei auf, lächelt mich an. Trotz blauem Nebel fühle ich mich wohl. Freundlicher Empfang. Wir gehen nach hinten. Dumpfes Licht, Kickerkasten. Alles retro. Auf dem Weg zur Toilette beobachte ich den Plattenmann. Er trägt Bart und runde Nerd-Brille. Er hat gute Laune. Die steckt an. Wir fordern. Ich spiele am Kickerkasten mit dem Schildkappenmann. Wir gewinnen, sind im Fieber. Auch ich und mein Liebster gewinnen. Verlieren, trinken aus. Draußen ist es kalt. Wir schnappen uns ein Tannenzapfenbier. Es regnet wie aus Eimern. Berlin doesn't love you wird wahr. Ich werfe mir meinen dünnen Schal über den Kopf, mein Emergency Kopftuch. Es ist zu dünn, meine Haare werden nass. Ich hätte es wissen müssen. Der Schildkappenmann schleppt uns auf eine Brücke. Schwärmt von romantischen Aussichten im Sommer. Unter uns Bahngleise, vor uns Regen, Dunkelheit, Stadt. Regenschleier. Was machen wir hier oben überhaupt? Von romantisch keine Spur. Klitschnass trinken wir Bier, legen das Bier ab. Der Schildkappenmann kennt den Türsteher. Wir zahlen, Stempel auf den Handrücken. SÜSS. So heißt der Club. Wir treten ein. Feuchtwarm. Wir dämpfen, gehen durch die tanzende Menge in den nächsten Raum. Eine Bar. Trinken einen Shot. Auf das beschissene Wetter. Berliner Luft. Die schmeckt süß, hinterlässt einen Nachgeschmack. Berliner Luft schmeckt wie Zahnpastaduft. Ich lasse die Jungs alleine. Die Baustellentreppen sehen provisorisch aus, sind aber wohl schon lange da. Auf der Toilette lächeln mir die Mädels entgegen. Ich sperre die Türe zu. Das Licht ist aus. es gibt vielleicht keines. Das Klopapier ist auch aus. Im Spiegel pappen meine Haare auf dem Kopf. Auf dem Weg nach oben greift mir ein Mann auf den Kopf, berührt die Haare. "Du bist ja ganz nass.", seine Stimme klingt verrucht. Er hat dunkle Haare, starrt mich an. ich bin sprachlos, verwirrt. Weiß nicht was ich sagen soll. Ich sage nichts. Stolpere die Treppe hoch. Wir trinken Bier, gehen in einen anderen Raum. Vorbei am Wohnzimmer in dem Männer und Frauen auf der Couch sitzen. Zungenaustausch und Flirtattacken. Neuer Raum, Elektrobeats. Alle tanzen. Einer ist wild tätowiert, bewegt sich lässig. Noch einer sticht hervor. Er trägt enge Hose und Oldschool Adidas Schuhe. Streifen. Zweimal. Graues T-Shirt. im Hipster Club trägt er Brille. Eigentlich sieht er viel zu unspektakulär aus. Wenn er zur Musik tanzt, berühren sich seine Knie. Auf seinem grauen T-Shirt ist eine beige Tasche aufgenäht. Wenn er müde ist, verschließt er die Arme hinter dem Rücken. Seine Augen sind geschlossen. Die Jungs unterhalten sich. Der Adidas Mann tanzt mit geschlossenen Augen. Mein Blick wandert. Mädels mit Röcken und flachen Stiefeln. Auf dem Kühlschrank an der Bar kleben viele Sticker. I <3 bügeln. Findet bei mir keine Zustimmung. An die Wand wurde gemalt. Seegestrüpp im Club. Auf der anderen Seite hängt eine Kukuksuhr. Der Adidas-Mann ist unrasiert und alleine. Er stampft mit seinen Beinen in den Boden. An der Wand sehe ich plötzlich Blumen und Sterne. Die Jungs schlecken sich mit der Zunge gegenseitig über die Backen. Die Sterne an der Wand bewegen sich. Wir sind sternhagelvoll, wir wollen mehr. Mehr Berliner Luft.